29.08.2023,Berlin/Köln.
Unterkünfte für geflüchtete Menschen in Deutschland sind keine kindgerechten Orte.
Dennoch verbringen Tausende geflüchtete Kinder und Jugendliche, die mit ihren Familien in Deutschland angekommen sind, viele Monate oder sogar Jahre dort. Das schränkt ihre Rechte gravierend ein und führt dazu, dass sie nicht gut in Deutschland ankommen und ihre Potenziale entfalten können – so das Fazit einer heute vom Deutschen Institut für Menschenrechte und von UNICEF Deutschland gemeinsam veröffentlichten Studie.
Die Studie „Das ist nicht das Leben. Perspektiven von Kindern und Jugendlichen in Unterkünften für geflüchtete Menschen“ lässt Kinder und Jugendliche selbst zu Wort kommen und gibt dadurch einen unmittelbaren Einblick in ihre Lebensrealitäten.
Die geflüchteten Kinder und Jugendlichen erleben die häufig beengten Wohnverhältnisse als belastend und äußern ihren ausdrücklichen Wunsch nach mehr Privatsphäre. Sie beschreiben teils schlechte hygienische Bedingungen in den Unterkünften und wünschen sich mehr Spiel- und Sportmöglichkeiten. Außerdem berichten die Kinder und Jugendlichen über ihre vielfältigen Erfahrungen mit Gewalt und Diskriminierung sowie über erhebliche Schwierigkeiten beim Zugang zu psychologischer Versorgung und zu Bildung. Nicht alle können zur Schule gehen, viele wünschen sich mehr soziale Kontakte außerhalb der Unterkunft.
Der Titel der Studie greift deshalb die Aussage eines 15-jährigen Mädchens auf, das zusammenfassend sein Leben in einer Unterkunft für geflüchtete Menschen so beschreibt: „Das ist nicht das Leben. Das ist sozusagen ein Stopp für das Leben.“
Das Deutsche Institut für Menschenrechte und UNICEF Deutschland leiten aus den Schilderungen der Kinder und Jugendlichen Forderungen an Bund, Länder und Kommunen ab. Dringend nötig ist unter anderem die dezentrale Unterbringung von Familien sowie der unmittelbare Zugang zu Kindergarten, Schule oder Ausbildung.
„Laut UN-Kinderrechtskonvention haben geflüchtete Kinder und Jugendliche Anspruch auf den gleichen Schutz und die gleiche Unterstützung wie alle hier lebenden Kinder. Ihre Rechte auf Bildung, auf Gesundheit oder Privatsphäre werden jedoch seit Jahren erheblich eingeschränkt. Deutschland muss dringend seinen menschenrechtlichen Verpflichtungen nachkommen“, forderte Michael Windfuhr, Stellvertretender Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte. Zwar sei mit großem Engagement und Einsatz durch Haupt-, Neben- und Ehrenamtliche in den Bundesländern und Kommunen in den vergangenen Jahren daran gearbeitet worden, die Bedingungen und Unterstützungsangebote für geflüchtete und migrierte Menschen in Deutschland zu verbessern. „Was fehlt, ist aber eine entschlossene und ressortübergreifend abgestimmte Politik für Kinderrechte auf allen staatlichen Ebenen“, so Windfuhr.
„Wir ringen in Deutschland bei der großen Aufgabe, geflüchteten Familien Schutz zu bieten, um die Aufnahmefähigkeit unseres Landes und um die Kosten. Übersehen wird oft, dass ein hoher Anteil der in Deutschland Schutz suchenden Menschen Kinder sind“, sagte Christian Schneider, Geschäftsführer von UNICEF Deutschland. „Die meisten haben Monate oder Jahre Ausnahmezustand und eine oft lebensgefährliche Flucht hinter sich. Jedes einzelne dieser Kinder braucht die Chance auf eine Kindheit, die den Namen verdient, und einen Ort, an dem es zur Ruhe kommen kann. Deutschland verpasst sonst die Chance, diesen Kindern das Ankommen und die Entwicklung entsprechend ihren Interessen und Talenten zu ermöglichen.“
Defizite bereits seit Jahren bekannt
2020 kamen das Deutsche Institut für Menschenrechte und UNICEF Deutschland mit „Gewaltschutz in Unterkünften für geflüchtete Menschen. Eine kinderrechtliche Analyse“ zu dem Schluss, dass Kinder in Unterkünften für geflüchtete Menschen nicht ausreichend und flächendeckend vor Gewalt geschützt sind. Bereits die 2014 und 2017 von UNICEF Deutschland veröffentlichten Studien „In erster Linie Kinder“ sowie „Kindheit im Wartezustand“ haben die vollumfängliche Umsetzung der Rechte von geflüchteten Kindern in Deutschland angemahnt.
Die neue Studie „Das ist nicht das Leben“ ist nicht repräsentativ. Die qualitative Befragung von 50 Kindern und Jugendlichen im Alter von sechs bis 17 Jahren, durchgeführt vom SINUS-Forschungsinstitut an vier Standorten in Nord, Süd, West und Ost, gibt jedoch einen seltenen, sehr wertvollen Einblick in ihre Lebenswirklichkeiten. Die Studie wurde von Anfang an partizipativ, also unter Beteiligung von Kindern und Jugendlichen, erstellt und von einem Expert*innenbeirat begleitet.
Die Aussagen der Kinder und Jugendlichen stehen im deutlichen Kontrast zu den Rechten aus der UN-Kinderrechtskonvention, die jedem Kind und Jugendlichen zustehen.
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Deutschland hat die UN-Kinderrechtskonvention 1992 ratifiziert und sich damit verpflichtet, die in der Konvention und ihren derzeit drei Zusatzprotokollen verbrieften Rechte von Kindern umzusetzen. Die Kinderrechte sind universell für alle Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren gültig.
Seit 2015 sind laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge schätzungsweise 2,3 Millionen asylsuchende Menschen nach Deutschland gekommen. Unter ihnen sind viele besonders schutzbedürftige Personen – dazu gehören auch Kinder und Jugendliche, die etwa 40 Prozent von ihnen ausmachen.
Im Jahr 2022 waren von den rund 218.000 asylsuchenden Menschen 81.232 Kinder und Jugendliche (37 Prozent). Zudem wurden über eine Million schutzsuchende Menschen aus der Ukraine registriert, davon sind rund 347.000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren (32 Prozent). Insgesamt sind demnach im Jahr 2022 rund 430.000 schutzsuchende Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren in Deutschland angekommen.
Genaue Daten über die Zahl der Kinder in Unterkünften für geflüchtete Menschen fehlen, da sie nicht systematisch für ganz Deutschland erfasst werden.
Deutsches Institut für Menschenrechte
Zimmerstraße 26/2710969 Berlin
institut-fuer-menschenrechte.de
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